A. R. Washington, 29. November
Seit Präsident Bushs viel beachteter Nahost- Rede vom 24. Juni
sind gut fünf Monate vergangen, doch seiner damals skizzierten Vision
eines unabhängigen, mit Israel in Frieden lebenden Palästina ist die
Region nicht näher gerückt. Beide Seiten in dem Konflikt setzen
weiterhin auf Gewalt, und die palästinensische Autonomiebehörde
scheint ebenso wenig zu Reformen fähig wie die israelische Regierung
bereit zu einer Lockerung ihrer Abschnürungspolitik in den besetzten
Gebieten. Fortschritte auf dem Weg zu einer Friedenslösung hängen primär
vom guten Willen der Israeli und Palästinenser ab. Aber auch die
amerikanische Diplomatie muss sich den Vorwurf gefallen lassen, Chancen
verpasst zu haben und die Dinge einfach treiben zu lassen.
Diskussionen um neuen Friedensplan
Washington schickt zwar von Zeit zu Zeit Emissäre
mittleren Ranges in den Nahen Osten. So weilte vor zwei Wochen der
stellvertretende Assistenzstaatssekretär Satterfield in der Region, um
den neusten amerikanischen Vorschlag für einen «Friedensfahrplan» zu
besprechen. Aber gemessen an früheren Phasen intensiver
Pendeldiplomatie wirkt der amerikanische Effort matt und
leichtgewichtig. Der Präsident und seine engsten Berater richten ihre
aussenpolitische Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Irak-Frage und
die Bekämpfung von al-Kaida. Der stellvertretende Verteidigungsminister
Wolfowitz drückte eine verbreitete Grundhaltung in der Administration
Bush aus, als er die Ansicht zurückwies, man müsse zuerst den
israelisch-palästinensischen Konflikt «lösen», bevor man eine Militäraktion
gegen den Irak erwäge. Die Friedensbemühungen in der Palästinafrage
liefen schon seit 50 Jahren, sagte Wolfowitz, und noch immer stehe ein
langer Weg bevor. Man könne nicht alle anderen Probleme für weitere 50
Jahre aufschieben.
Als erster amerikanischer Präsident hat Bush die
Schaffung eines unabhängigen Palästinenserstaates bis zum Jahr 2005
vorgeschlagen, eine solche Entwicklung aber von zahlreichen palästinensischen
Vorleistungen abhängig gemacht. Kritiker sprachen bereits damals von
einem rhetorischen Blendwerk, mit dem sich Bush die heikle Nahost- Frage
bis nach den nächsten Präsidentschaftswahlen vom Leib halten wolle.
Tatsächlich fehlt es Bushs «Vision» an einem Fundament in Form eines
konkreten Massnahmenplans und gezielter Druckausübung auf beide Seiten.
Die im Sommer geäusserte Hoffnung, die beiden Konfliktparteien würden
sich von dieser Friedensperspektive begeistern lassen und die nötigen
Schritte unternehmen, hat sich als naiv erwiesen. Sowohl Arafat als auch
Sharon scheinen aus periodischen Eskalationen vielmehr politischen
Nutzen zu ziehen.
Washington schaute allzu lange hin, wie die israelische
Regierung die Zerstörung von Arafats Hauptquartier in Ramallah
vorantrieb; statt geschwächt zu werden, konnte sich der Palästinenserführer
nochmals als Symbol des Widerstands profilieren. Merkwürdig gleichgültig
nahmen die USA Ende Oktober auch die Umbildung der palästinensischen
Regierung hin. Dabei demonstrierte die Umbildung, dass Arafat trotz der
amerikanischen Forderung nach seiner Entmachtung sicher im Sattel sitzt
und kaum an Reformen denkt. Der moderate Innenminister Yahya, ein von
den USA geförderter Reformpolitiker, musste seine Entlassung hinnehmen.
Washington verzichtete bisher auch darauf, mit dem Instrument der
Finanzhilfe Druck auf Israel auszuüben. Die Regierung gab kürzlich
bekannt, dass sie ihre Militärhilfe an Israel leicht zu erhöhen
gedenke.
Zwar hat das Staatsdepartement im Laufe des Herbsts eine
Art Friedensplan ausgearbeitet, der in drei Stufen zu einer endgültigen
Lösung führen soll. Aber im Nahen Osten wird die Ernsthaftigkeit
dieses Plans weithin bezweifelt. Auch ein europäischer Diplomat sprach
von einem Manöver, mit dem die USA von ihrem Unwillen zu einem stärkeren
Engagement ablenken wollten. Hinter vorgehaltener Hand ist selbst in der
Administration Bush die Meinung zu hören, dass bis nach den
israelischen Wahlen vom 28. Januar keine Fortschritte zu erwarten
seien. Offiziell hingegen will die amerikanische Regierung nicht untätig
herumsitzen. Für den 20. Dezember hat sie ein Treffen des Madrider
Quartetts - mit Vertretern der USA, Russlands, der EU und der Uno -
angekündigt. Ob bis dann eine breit abgestützte Version des
Friedensplans vorliegt, ist allerdings fraglich. Delegationen der beiden
Konfliktparteien warben in den letzten anderthalb Wochen in Washington für
ihre Standpunkte. Israels Vizeministerpräsident Sharansky verlangte,
dass die Beratungen über den Friedensplan bis nach den Wahlen
verschoben werden. Wenig später wurde der palästinensische
Planungsminister Shaath im Aussenministerium empfangen. Er sprach sich
gegen eine Verzögerung aus.
Ex-Sicherheitsberater für neuen Effort
Der amerikanische Sicherheitsberater während der
Regierungszeit von Bush senior, Brent Scowcroft, gab letzte Woche in der
«Washington Post» ein Plädoyer für ein verstärktes Engagement im
Nahen Osten ab. So, wie die Administration einen diplomatischen Erfolg
in der Irak-Frage erzielt habe, sollten die USA sich nun mit derselben
«laserähnlichen» Aufmerksamkeit der Palästinafrage zuwenden.
Scowcroft riet dazu, die amerikanischen Vorstellungen noch vor den
Wahlen in Israel zu präsentieren, die Perspektive eines Palästinenserstaates
zu präzisieren und im Gleichschritt mit einem israelischen Rückzug aus
den besetzten Gebieten eine amerikanisch-europäische Schutztruppe zu
stationieren. Dafür, dass Scowcrofts Rat in der amerikanischen Führung
positiven Widerhall gefunden hätte, gibt es jedoch keine Anzeichen.