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  Artikel der NZZ vom 30. November 2002

Washingtons Nahost-Vision als Fata Morgana

Geringe Priorität der Palästinafrage für Präsident Bush

Der Palästinakonflikt steht derzeit für die amerikanische Führung ganz im Schatten der Irak-Frage. Die anhaltende Gewalt in der Region und die bevorstehenden Wahlen in Israel machen rasche Fortschritte auf dem Weg zum Frieden wenig wahrscheinlich. Eine Bereitschaft der USA zu einem stärkeren Engagement ist nicht zu spüren.

A. R. Washington, 29. November

Seit Präsident Bushs viel beachteter Nahost- Rede vom 24. Juni sind gut fünf Monate vergangen, doch seiner damals skizzierten Vision eines unabhängigen, mit Israel in Frieden lebenden Palästina ist die Region nicht näher gerückt. Beide Seiten in dem Konflikt setzen weiterhin auf Gewalt, und die palästinensische Autonomiebehörde scheint ebenso wenig zu Reformen fähig wie die israelische Regierung bereit zu einer Lockerung ihrer Abschnürungspolitik in den besetzten Gebieten. Fortschritte auf dem Weg zu einer Friedenslösung hängen primär vom guten Willen der Israeli und Palästinenser ab. Aber auch die amerikanische Diplomatie muss sich den Vorwurf gefallen lassen, Chancen verpasst zu haben und die Dinge einfach treiben zu lassen.

Diskussionen um neuen Friedensplan

Washington schickt zwar von Zeit zu Zeit Emissäre mittleren Ranges in den Nahen Osten. So weilte vor zwei Wochen der stellvertretende Assistenzstaatssekretär Satterfield in der Region, um den neusten amerikanischen Vorschlag für einen «Friedensfahrplan» zu besprechen. Aber gemessen an früheren Phasen intensiver Pendeldiplomatie wirkt der amerikanische Effort matt und leichtgewichtig. Der Präsident und seine engsten Berater richten ihre aussenpolitische Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Irak-Frage und die Bekämpfung von al-Kaida. Der stellvertretende Verteidigungsminister Wolfowitz drückte eine verbreitete Grundhaltung in der Administration Bush aus, als er die Ansicht zurückwies, man müsse zuerst den israelisch-palästinensischen Konflikt «lösen», bevor man eine Militäraktion gegen den Irak erwäge. Die Friedensbemühungen in der Palästinafrage liefen schon seit 50 Jahren, sagte Wolfowitz, und noch immer stehe ein langer Weg bevor. Man könne nicht alle anderen Probleme für weitere 50 Jahre aufschieben.

Als erster amerikanischer Präsident hat Bush die Schaffung eines unabhängigen Palästinenserstaates bis zum Jahr 2005 vorgeschlagen, eine solche Entwicklung aber von zahlreichen palästinensischen Vorleistungen abhängig gemacht. Kritiker sprachen bereits damals von einem rhetorischen Blendwerk, mit dem sich Bush die heikle Nahost- Frage bis nach den nächsten Präsidentschaftswahlen vom Leib halten wolle. Tatsächlich fehlt es Bushs «Vision» an einem Fundament in Form eines konkreten Massnahmenplans und gezielter Druckausübung auf beide Seiten. Die im Sommer geäusserte Hoffnung, die beiden Konfliktparteien würden sich von dieser Friedensperspektive begeistern lassen und die nötigen Schritte unternehmen, hat sich als naiv erwiesen. Sowohl Arafat als auch Sharon scheinen aus periodischen Eskalationen vielmehr politischen Nutzen zu ziehen.

Washington schaute allzu lange hin, wie die israelische Regierung die Zerstörung von Arafats Hauptquartier in Ramallah vorantrieb; statt geschwächt zu werden, konnte sich der Palästinenserführer nochmals als Symbol des Widerstands profilieren. Merkwürdig gleichgültig nahmen die USA Ende Oktober auch die Umbildung der palästinensischen Regierung hin. Dabei demonstrierte die Umbildung, dass Arafat trotz der amerikanischen Forderung nach seiner Entmachtung sicher im Sattel sitzt und kaum an Reformen denkt. Der moderate Innenminister Yahya, ein von den USA geförderter Reformpolitiker, musste seine Entlassung hinnehmen. Washington verzichtete bisher auch darauf, mit dem Instrument der Finanzhilfe Druck auf Israel auszuüben. Die Regierung gab kürzlich bekannt, dass sie ihre Militärhilfe an Israel leicht zu erhöhen gedenke.

Zwar hat das Staatsdepartement im Laufe des Herbsts eine Art Friedensplan ausgearbeitet, der in drei Stufen zu einer endgültigen Lösung führen soll. Aber im Nahen Osten wird die Ernsthaftigkeit dieses Plans weithin bezweifelt. Auch ein europäischer Diplomat sprach von einem Manöver, mit dem die USA von ihrem Unwillen zu einem stärkeren Engagement ablenken wollten. Hinter vorgehaltener Hand ist selbst in der Administration Bush die Meinung zu hören, dass bis nach den israelischen Wahlen vom 28. Januar keine Fortschritte zu erwarten seien. Offiziell hingegen will die amerikanische Regierung nicht untätig herumsitzen. Für den 20. Dezember hat sie ein Treffen des Madrider Quartetts - mit Vertretern der USA, Russlands, der EU und der Uno - angekündigt. Ob bis dann eine breit abgestützte Version des Friedensplans vorliegt, ist allerdings fraglich. Delegationen der beiden Konfliktparteien warben in den letzten anderthalb Wochen in Washington für ihre Standpunkte. Israels Vizeministerpräsident Sharansky verlangte, dass die Beratungen über den Friedensplan bis nach den Wahlen verschoben werden. Wenig später wurde der palästinensische Planungsminister Shaath im Aussenministerium empfangen. Er sprach sich gegen eine Verzögerung aus.

Ex-Sicherheitsberater für neuen Effort

Der amerikanische Sicherheitsberater während der Regierungszeit von Bush senior, Brent Scowcroft, gab letzte Woche in der «Washington Post» ein Plädoyer für ein verstärktes Engagement im Nahen Osten ab. So, wie die Administration einen diplomatischen Erfolg in der Irak-Frage erzielt habe, sollten die USA sich nun mit derselben «laserähnlichen» Aufmerksamkeit der Palästinafrage zuwenden. Scowcroft riet dazu, die amerikanischen Vorstellungen noch vor den Wahlen in Israel zu präsentieren, die Perspektive eines Palästinenserstaates zu präzisieren und im Gleichschritt mit einem israelischen Rückzug aus den besetzten Gebieten eine amerikanisch-europäische Schutztruppe zu stationieren. Dafür, dass Scowcrofts Rat in der amerikanischen Führung positiven Widerhall gefunden hätte, gibt es jedoch keine Anzeichen.

 

 
Neue Zürcher Zeitung, Ressort Ausland, 30. November 2002Nr.279, Seite 3
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