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Kommentar NZZ am 19.5.2001 |
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Neue Männer braucht das Heilige Land!
Der Streit um Palästina hat wieder einmal einen
Tiefpunkt erreicht. Kaum ein Tag vergeht ohne
Meldungen über Gewaltopfer. Die Fronten sind härter
denn je. Eine Mehrheit der Israeli verwendet «Araber»
und «Feind» wieder als Synonyme und befürwortet den
harten Kurs der Regierung. Die wachsende internationale
Kritik an Israel löst in jüdischen Kreisen in Europa
Nervosität aus, und oft werden dahinter vorschnell
antisemitische Beweggründe vermutet. In der arabischen
Welt treibt eine bombastische antiisraelische Rhetorik
neue Blüten, und bei den Palästinensern überlagert ein
abstossender Märtyrerkult die spärlichen Aufrufe zu
einem Gewaltverzicht. Der libanesische Hizbullah
geniesst in Gaza und Cisjordanien wachsende
Popularität. Mit seinen Gewaltmethoden soll nach
Südlibanon auch Palästina «befreit» werden. Haben im
Heiligen Land alle den Verstand verloren?
Von den tonangebenden Politikern in den beiden Lagern
ist kaum viel Gutes zu erwarten. Israels Ministerpräsident
Sharon hat den während des Wahlkampfs aufgesetzten
Schafspelz abgestreift. Öffentlich vertritt er nun eine
Vision des Zionismus, die nicht-jüdischen Bewohnern
zwischen Jordan und Mittelmeer langfristig keinen Raum
lässt. Er scheint tatsächlich jener Wolf zu sein, vor dem
liberale und fortschrittliche Kreise in Israel eindringlich,
aber vergeblich gewarnt hatten. Von Altersmilde ist da
keine Spur. Altersstarrsinn werfen dagegen israelische
Kritiker Aussenminister Peres vor. Der
Friedensnobelpreisträger riskiert in der Tat, seine
mühselig erarbeitete internationale Glaubwürdigkeit zu
verspielen, wenn er noch lange in Sharons Kabinett
mitwirkt. Denn einen Friedenskurs steuert diese
Regierung nicht. Die Wiedererrichtung militärischer
Präsenz in den palästinensischen Autonomiegebieten, wie
am Donnerstag angekündigt, ist nur der jüngste Beweis
dafür.
Wenig Schmeichelhaftes lässt sich auch über Arafat
sagen. Ob der Chef der palästinensischen
Autonomieregierung die Lage noch im Griff hat, ist
umstritten. Seine verschiedenen bewaffneten Verbände
entgleiten immer häufiger seiner Kontrolle und führen auf
eigene Faust ihren Kleinkrieg gegen jüdische Siedler.
Dass sie auch bei diesen Unternehmungen, wie in Israel
behauptet, von Arafats langem Arm gelenkt werden, darf
bezweifelt werden. Die zahllosen Erniedrigungen unter
israelischer Besatzung, das lange und vergebliche
Warten auf die Früchte des Friedens nach den
Oslo-Verträgen und die Einsicht, von Israel niemals als
gleichberechtigte Nachbarn oder Mitbürger anerkannt zu
werden - dies alles hat unter den Palästinensern einen
Volkszorn wachsen lassen, der sich in der Aksa-Intifada
entladen hat. Wer die haarsträubenden Verhältnisse im
Gazastreifen, in Cisjordanien und in Ostjerusalem kennt,
wundert sich immer wieder, wie vergleichsweise selten
eigentlich Palästinenser Amok laufen.
Doch die Wut in den Palästinensergebieten richtet sich
auch nach innen. Die ehemals nach Tunis exilierte
PLO-Führung hat im Gazastreifen und im Westjordanland
ein Günstlingsregime aufgebaut, das einen Vergleich mit
den übelsten Vorbildern in der arabischen Welt nicht zu
scheuen braucht. Mangelnde demokratische Legitimation
und grassierende Korruption konnten übertüncht werden,
weil der sogenannte Friedensprozess nur mit einer
funktionsfähigen palästinensischen Autonomieregierung
überhaupt am Leben erhalten werden konnte. So kam es
dann zur stossenden Situation, dass die europäischen
Geberländer wider besseres Wissen seit Jahren die
palästinensische Vetternwirtschaft mitfinanzierten. Eine
löbliche Ausnahme in diesem verhängnisvollen
Mechanismus bildet die Unterstützung der Schweiz. Ein
grosser Teil des Geldes aus Bern kommt
regierungsunabhängigen palästinensischen
Körperschaften zugute, die am Aufbau einer
Bürgergesellschaft beteiligt sind und oft hervorragende
Arbeit leisten.
Sieben Jahre nach Abschluss der Oslo-Verträge zeigt sich
in aller Deutlichkeit, wie Recht die Skeptiker hatten. Wer
damals das Abkommen als israelisches Friedensdiktat
schmähte, musste sich den Vorwurf gefallen lassen,
keine Alternative aufzeigen zu können. Besonnene und
herausragende palästinensische Persönlichkeiten, wie
etwa der Arzt Haidar Abdeshshafi und die Anglistin Hanan
Ashrawi, machten immer schon klar, dass eine
dauerhafte Friedensregelung nur zwischen
gleichberechtigten Partnern möglich sei. Dass Israel seit
Oslo unter grober Verletzung der Vierten Genfer
Konvention die Anzahl jüdischer Siedler in den
Palästinensergebieten zu verdoppeln vermochte, ohne
dass sich darob viel internationaler Protest geregt hätte,
ist wohl der deutlichste Beweis für die Ohnmacht des so
ungleich viel schwächeren «Partners» in diesem Prozess.
Arafats wichtigste Rolle war, die Extremisten in seinem
Lager unter Kontrolle zu halten. Israel und die USA
gewährten ihm dafür geheimdienstliche Hilfe. Und
Sondergerichte jenseits aller Rechtsstaatlichkeit bildeten
den juristischen Rahmen.
Kein Wunder, dass auf dieser Basis nichts Gesundes
gedeihen konnte. So gesehen ist es aus israelischer Sicht
nichts als konsequent, wenn nun, wie während der
vergangenen Wochen, die israelische Armee die
Infrastruktur der verschiedenen palästinensischen
Polizeikräfte mit gezielten Angriffen zerschlägt.
Eindrucksvoller könnte das Scheitern des in Oslo
eingeleiteten Prozesses nicht demonstriert werden. Die
Botschaft lautet: Nur Israels Armee allein kann die
Sicherheit des jüdischen Staats garantieren. Am
53. Jahrestag der Staatsgründung bewirkte Sharon auf
diese Weise bei vielen seiner jüdischen Mitbürger eine
Art von Déjà-vu-Erlebnis, was seiner Popularität vielleicht
förderlich ist. Dass die Strategie allerdings tatsächlich
dem langfristigen Interesse Israels dient, muss
bezweifelt werden.
Die wirtschaftlichen Folgen des Kleinkriegs mit den
Palästinensern sind für beide Seiten katastrophal.
Paradoxerweise aber treffen sie die weit potentere
israelische Wirtschaft härter, da die Palästinenser
vergleichsweise wenig zu verlieren haben. Da ihr Kampf
um Land und Rechte auch in Zukunft auf breites
Medieninteresse stossen dürfte, wird internationale Hilfe
ihre Existenz wohl sichern helfen. Israel hingegen hat
bereits heute empfindliche Einbussen im profitablen
Tourismussektor zu verzeichnen. Israelische
Friedensaktivisten haben sogar zu einem Boykott von
Exportwaren Israels aufgerufen, die aus jüdischen
Siedlungen stammen. Weit verheerender, wenn auch
finanziell nicht erfassbar, ist der Image-Schaden, den
Israel im Falle eines langen Kleinkriegs voraussichtlich
erleidet. Die weitherum gehegten positiven Gefühle
gegenüber dem jüdischen Staat und dessen Bewohnern
könnten in ihr Gegenteil umschlagen. Und dies müsste
Israel auch im Interesse der Juden in andern Ländern um
jeden Preis zu verhindern suchen.
Wird es einmal mehr an den USA liegen, einen Ausweg
aus dieser hoffnungslos verfahrenen Situation zu weisen?
Der ehemalige amerikanische Senator Mitchell hat als
Chef einer internationalen Erkundungsmission einen viel
beachteten Bericht vorgelegt, der eine neue Etappe im
Palästinakonflikt einleiten könnte. Eine der darin
enthaltenen Hauptforderungen, ein absoluter Stopp
jeglichen Siedlungsbaus, ist von Israel jedoch bereits
abgelehnt worden. Auf dem Tisch liegt auch eine
jordanisch-ägyptische Initiative. Sie fordert die
Fortsetzung des Dialogs auf der Grundlage, die vom Trio
Clinton/Barak/Arafat in Camp David erarbeitet worden
war. Chancen auf Verwirklichung hat der Vorstoss kaum.
Braucht es ein Wunder, um das Blutvergiessen zu
stoppen? Man stelle sich vor, alle jene Kräfte in Israel
und in den Palästinensergebieten, die sich seit Jahren für
Dialog und Ausgleich einsetzen, erhielten endlich Gehör.
Unzählige private Organisationen, wie etwa die soeben
von der Weltgesundheitsorganisation geehrte Union
palästinensischer medizinischer Hilfskomitees, leisten seit
Jahren unschätzbare freiwillige Aufbauarbeit. Auf dieser
Basis entstanden abseits der hohen Politik Werte einer
einheitlichen Bürgergesellschaft aller Bewohner
Palästinas - Juden, Muslime und Christen. Neue Männer
und Frauen - das Heilige Land hat sie dringend nötig.
Wok.
Neue Zürcher Zeitung, Ressort Ausland, 19. Mai 2001,
Nr.115, Seite 1
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