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Artikel NZZ 30. Januar 2002 |
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Verheerende materielle Folgen der Intifada
Arafats Behörde am Rande des Bankrotts
Die palästinensischen Autonomiebehörden ringen
infolge israelischer Blockademassnahmen und
schwindender Unterstützung mit grossen
Geldproblemen. Fast ein Drittel aller
Vollbeschäftigten stehen im Dienste dieser
Behörde. Jeder zweite Palästinenser in den
besetzten Gebieten lebt unter der Armutsgrenze
von zwei Dollar täglich.
vk. Limassol, 29. Januar
Die palästinensischen Autonomiebehörden winden sich
seit geraumer Zeit am Rande des Bankrotts von einem
Notruf zum anderen, und neuerdings haben sie nach
Angaben von Insidern für die Besoldung ihres
Angestelltenheeres zu Bankkrediten Zuflucht gesucht.
Der Generaldirektor des Hohen Rats für Wiederaufbau,
Mohamed Ishteyeh, gab kürzlich in einem Interview der
Zeitung «al-Hayat» bekannt, nur dank den erneuerten
Zuwendungen von Saudiarabien, den Vereinigten
Arabischen Emiraten und der EU sei für die kommenden
drei Monate mindestens die Hälfte der geplanten
Ausgaben, nämlich je 45 Millionen Dollar, gedeckt.
Keine Einkommensquellen mehr in Israel
Nach Ishteyeh war die arabische Unterstützung im
Dezember weitgehend versiegt, und die gemeinsame
Kampagne Israels und Amerikas gegen den
Autonomiechef Arafat als Unterstützer des Terrors
gefährdet das finanzielle Überleben der
Autonomiebehörde zusätzlich. Das potenzielle Ausmass
einer daraus resultierenden Katastrophe umriss Ishteyeh
damit, dass fast jeder der rund 130 000
Behördeangestellten eine Familie mit durchschnittlich 6,2
Personen unterhält. Also wären von einem Bankrott der
Arafat-Behörden etwa 800 000 Palästinenser oder über
ein Viertel aller Bewohner Cisjordaniens und Gazas
betroffen.
Ein solcher Schlag wäre umso schwerer zu verkraften,
weil die palästinensische Gesellschaft durch die Folgen
der nunmehr 16-monatigen Intifada zusehends
ausgepowert ist. Nach Erhebungen des Hohen Rates für
Wiederaufbau und des Uno-Vertreters in den
Autonomiegebieten lebt zurzeit die Hälfte der Bewohner
«Palästinas», oder anderthalb Millionen Menschen, unter
der Armutsgrenze, das bedeutet ein Auskommen mit
täglich zwei Dollar pro Kopf oder weniger. Hauptursache
dieses Notstandes ist der Ausfall der wichtigsten
Einkommensquellen. Für die Bevölkerung ist es die
Abriegelung des israelischen Arbeitsmarktes, auf dem in
besseren Zeiten bis zu 300 000 Palästinenser beschäftigt
waren und etwa das Doppelte der Löhne von Angestellten
palästinensischer Arbeitgeber erzielten.
Seit dem Beginn der Intifada Ende September 2000 hatte
die israelische Armee unter dem Vorwand der
Sicherheitsvorkehren die Autonomiegebiete fast
permanent abgeriegelt. So war etwa die Eretz-Passage
für den Gazastreifen im ersten Intifada-Jahr während 263
Tagen gänzlich geschlossen, an den übrigen Tagen wurde
ein stark reduzierter Personenverkehr beobachtet. Für
die Autonomiebehörde war es die israelische Blockierung
der Steuer- und Zollguthaben, welche durch die
israelischen Behörden stellvertretend eingezogen
werden; diese machten ursprünglich gegen 65 Prozent
der ganzen PNA-Taxeinkommen aus. Der allgemeine
Einnahmenrückgang der Palästinenser, die tiefe
Wirtschaftskrise und das Erliegen des Handels
schwächten indirekt die Finanzkraft der Behörden noch
zusätzlich. So konnte in den vergangenen Monaten nur
die Hälfte des Monatshaushaltes von 90 Millionen Dollar
bestritten werden. Nicht nur die Reserven der Behörden,
sondern auch die der ganzen Bevölkerung sind erschöpft.
Zerstörungen der Infrastruktur
Rechnet man zu den palästinensischen
Einkommensausfällen von rund 3 Milliarden Dollar noch
die materiellen Schäden hinzu, die durch die militärischen
Eingriffe Israels angerichtet wurden, so schwindet jede
Aussicht auf ein Überleben, falls die Autonomiebehörden
unter dem verschärften Druck zusammenbrechen sollten.
Die letzten Zerstörungen betrafen am 10. und 11. Januar
das Flüchtlingslager von Rafah, wo die Armee zur
Schaffung eines Sicherheitsstreifens entlang der
ägyptischen Grenze Dutzende von Wohnhäusern in
Trümmer legte.
Die Armee behauptet laut ihrem jüngsten
Untersuchungsbericht, am 10. Januar lediglich 21 Häuser
zerstört zu haben. Das Internationale Komitee vom
Roten Kreuz (IKRK) lieferte damals nach der Agentur
Wafa freilich gezielte Nothilfe für 93 geschädigte
Familien. Und unabhängige palästinensische
Bürgerrechtsaktivisten in Gaza legten detaillierte
Namenslisten vor, welche die Zerstörung von 59 Häusern
am 10. Januar dokumentieren. Am folgenden Tag sind
gemäss diesen Quellen in einem anderen Teil des
Flüchtlingslagers 40 Häuser zerstört sowie 41 andere
Gebäude unbewohnbar gemacht worden. Insgesamt
sollten bei diesen Aktionen rund 1700 Personen
obdachlos geworden sein. Diese Bürgerrechtler zählten
für die ganze Intifada-Periode bisher rund 500 zerstörte
Wohnhäuser allein im Gazastreifen.
Weiter planierte die Armee nach diesen Erhebungen etwa
einen Sechstel des gesamten Ackerlandes im
Gazastreifen zur Schaffung toter Zonen rund um die
jüdischen Siedlungen und ihre Zufahrtswege. Dazu
kommen die gezielte Zerstörung des Flughafens von
Rafah und des Seehafens in Gaza, die Lahmlegung
grosser Teile des Strassennetzes und Schäden an
Strom-, Wasser- und Abwassernetzen. Ähnliche
Betrachtungen wären über Cisjordanien anzustellen. Die
Autonomiebehörden beziffern die Einkommensverluste
und Gesamtschäden an Infrastruktur und Institutionen
nach Ishteyeh auf über 5 Milliarden Dollar.
Neue Zürcher Zeitung, Ressort Ausland, 30. Januar 2002,
Nr.24, Seite 5
Copyright © Neue Zürcher Zeitung AG
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