|
|
|
|
|
Artikel SDZ 8. Februar 2002 |
|
Schwarze Fahne, finsteres Licht
Offene und verdeckte Wehrdienstverweigerung hat in Israel eine Debatte über die Moral der Besatzungspolitik ausgelöst
Von Moshe Zimmermann *
Gesellschaften, die das Militär hoch schätzen, lassen an den Handlungen dieses Militärs keine Kritik zu. Kommt sie doch auf, prallt sie automatisch ab. Fällt dieser
Automatismus aus, wird zum Gegenangriff übergegangen: In der Regel wird die Kritik als Dolchstoß gebrandmarkt und so delegitimiert. Mut allein bewirkt wenig;
konstruktiv wird solche Kritik nur , wenn Ikonen der militaristischen Gesellschaft sie formulieren. Was ist idealtypischer als ein Kampfpilot, ein Oberst, dazu schwer
verwundet und ehemaliger Kriegsgefangener? Tatsächlich gibt es in Israel eine solche Ikone: Igal Schochat hat es geschafft, endlich die längst fällige Debatte um die
Rechtmäßigkeit der Tätigkeit des Militärs in den besetzten Gebieten zu entfesseln.
Schochats Kampfjet wurde 1970 von der ägyptischen Luftabwehr abgeschossen; er geriet in Gefangenschaft, wo sein Bein amputiert wurde. Nach seiner Heimkehr
studierte er Medizin und wurde Chefarzt der Luftwaffe. Diese Karriere machte ihn in der militärverehrenden Gesellschaft Israels unantastbar. Sein Aufruf am 18.
Januar, den Kriegsdienst in den besetzten Gebieten zu verweigern, schlug deshalb ein wie eine echte Bombe.
1957 sprach ein Gericht das Urteil über ein Massaker, das eine Kompanie der israelischen Armee an israelischen Arabern verübt hatte. Die Soldaten argumentierten, sie
hätten Befehle befolgt, noch dazu in einer Notstandssituation. Das konnten die Richter jedoch nicht akzeptieren; sie kannten die Nürnberger Urteile. Das Urteil sprach
von der „schwarzen Fahne“, die über eindeutig illegalen Befehlen weht – eine Sprachmünze, die Oberst Schochat nun zu reaktivieren versucht. Nicht nur Infanteristen,
auch Piloten, die Ziele im palästinensischen Autonomiegebiet bombardieren, befinden sich nach seiner Meinung im Schatten jener schwarzen Fahne. Schochat gibt zu,
dass sein Aufruf nicht konsequent genug ist: „Ich weiß, dass manchmal der Soldat, der im Hauptquartier seine Arbeit leistet, mehr Unrecht stiften kann als der Soldat an
der Straßensperre“.
Der Preis der Besatzung
Das war der „Trigger“. Eine Woche später erschien in den Zeitungen der Aufruf von 52 Offizieren und Soldaten, alle aus Kampfeinheiten, also „unantastbar“ in den
Augen der israelischen Gesellschaft: „Die Befehle, die wir ]erhielten, zerstören alle Werte, die wir in diesem Land verinnerlicht haben. Wir begreifen heute, dass der
Preis der Besetzung die Korrumpierung der gesamten israelischen Gesellschaft ist.“ Einige unter den 52 saßen bereits im Militärgefängnis, wegen Dienstverweigerung in
den besetzten Gebieten. Im Internet meldeten sich bald weitere 200 Reservesoldaten. Keine echte Massenverweigerung – doch das Problem ließ sich nicht mehr unter
den Teppich kehren.
Die Luftangriffe gegen Ziele in dicht besiedelten Städten, die Liquidierung von Terroristen, die Zerstörung palästinensischer Häuser und Felder, vor allem das alltägliche
Schikanieren von Palästinensern an Straßensperren brachten das Fass der latenten Vorwürfe gegen die Armee zum Überlaufen. Kritisiert wurden auch die
Euphemismen der Militärs: „Gezielte Vereitelung“ oder „Liquidieren“ für Töten, „Krone“ für hermetische Abriegelung, „Entblößung“ für den Abriss von Häusern und
Bäumen, „Terrorist“ für jedes beliebige Ziel der israelischen Vergeltungsstrategie. Darauf antwortet die harte Sprache der Protestierenden: Sie reden von
unmenschlichem Verhalten des Militärs, ja von der Gefahr fürs Gemeinwesen. Schochat sprach auch von der Apartheid-Einstellung der Siedler, die die ganze
Gesellschaft erfasse.
Selbst der ehemalige Chef des Geheimdienstes zweifelte den Sinn der „Liquidierungen“ offen an, und sein Nachfolger sprach sein Erstaunen darüber aus, dass sich so
wenige Soldaten an die Regel der „schwarzen Fahne“ halten. So haben „Linke“ zwar allzu oft seit 1967 geredet – und wurden prompt als Schöngeister oder Verräter
abgehakt. Gegen Offiziere und Geheimdienstchefs a.D. ist diese Taktik jedoch nicht anwendbar. Mehr noch: Die Zahl der „grauen Dienstverweigerungen“, also der
Versuche, sich ohne Deklaration und ungestraft vor dem Reservedienst in den besetzten Gebieten zu drücken, ist hoch.
Das Establishment setzt sich zu Wehr. So der Generalstabschef: Der Protest beruhe „nicht auf moralischer Basis“, sondern sei ideologisch und politisch inspiriert. Sein
Beweis: Die Protestler sprächen davon, man solle „die Gebiete“ verlassen. Dass er sich selbst zum Instrument einer anrüchig ideologisierten Siedlerpolitik macht, mag er
nicht begreifen; für ihn wie für die Mehrheit der Gesellschaft ist die Siedlungsbewegung keine Politik, sondern eine Selbstverständlichkeit, keine unmoralische Haltung,
sondern die höchste Moral.
Die selbstverständlich gewordene Akzeptanz des Besatzungszustands, gekoppelt mit der militärfreundlichen Mentalität, bietet den Rückhalt für die Regierungspolitik.
Eine Meinungsumfrage zeigt: Vier Fünftel der Israelis betrachten Militärdienstverweigerung in den besetzten Gebieten als nicht legitim. Hier unterscheiden sich die
Wähler der linken Parteien kaum von anderen. So ist die Debatte zwar da, aber die Aussicht auf baldigen Erfolg eher gering. Die Grundwerte einer militarisierten und
terrorisierten Gesellschaft zu ändern ist eine schwierige Aufgabe: Drei Viertel der jüdischen Israelis befürworten die „Liquidierungen“ von palästinensischen Terroristen,
und die Mehrheit glaubt, die Ausschreitungen des Militärs gegen palästinensische Zivilisten sollten weniger stringent als solche gegen Israelis oder – so denkt immerhin
ein knappes Viertel – gar nicht verfolgt werden.
Klare Unterschiede gibt es aber zwischen religiösen und nicht religiösen Menschen. Bekanntlich sind palästinensische Selbstmordattentäter fundamentalistische, gläubige
Moslems. In der jüdischen Gesellschaft sind die Befunde weniger explosiv, jedoch alarmierend: Doppelt so viele (nämlich 43 Prozent) Wähler der orientalisch-religiösen
Schas-Partei wie selbst Likud- Anhänger fordern, von Menschenrechtsverletzungen gegen Palästinenser solle weggeschaut werden.
Im Sinne der Moral?
Von dieser Seite kam denn auch die hemmungsloseste Reaktion auf die Kritiker des Militärs. Drei Tage nach dem Aufruf zur Kriegsdienstverweigerung erschien die
unfassbare Empfehlung eines Rabbiners der Siedlung Alon Schwut: Um das Phänomen der Selbstmordattentäter zu bekämpfen, übernehmen „wir wieder die Aufgabe,
,Licht für die Völker’ zu sein, diesmal ein finsteres Licht: Die Familien der Selbstmordattentäter zu treffen... , durch Vertreibung, Requirierung und sogar Ausmerzen
eines Banditendorfs“. Der Rabbiner fügte hinzu: „Der vorgeschlagene Weg ist im Sinne der jüdischen Moral.“
Ein Rabbiner aus einer anderen Siedlung, Knessetabgeordneter und Vorsitzender der rechtsradikalen „Partei der nationalen Einheit“, nahm die Parole seines Vorgängers,
des ermordeten Ministers Seewi, wieder auf, und verlangte den Transfer, ja die Vertreibung von Palästinensern. Intellektuelle und Journalisten, die ihre
Geschichtsstunden nicht vergessen hatten, schlugen Alarm: Die Debatte breche ausgerechnet in der Woche aus, in der man sich anderswo mit dem Thema „60 Jahre
Wannseekonferenz“ befasste.
Der Streit geht auch prinzipiell ums Widerstandsrecht in einer Demokratie. Auch wenn nur fünfzehn Prozent die protestierenden Soldaten unterstützen, stärkt ihr
Widerspruch die demokratische Praxis im Land. Das sollte auch dem deutschen Außenminister bewusst sein, wenn er nächste Woche in Israel die Vertreter des
Militärestablishment, Sharon, Ben Eliezer und Peres, trifft. Man erwartet von dem grünen Politiker Fischer eine andere Haltung zur Kriegsdienstverweigerung als von
George W. Bush.
Eine Randbemerkung für deutsche Rechtsradikale, die nächste Woche, statt gegen die Wehrmachtsausstellung zu protestieren, zum deutsch- israelischen
Freundschaftsspiel nach Kaiserslautern fahren, um auf dem Betzenberg gegen die israelische Politik zu demonstrieren: Die israelischen Nationalspieler sind privilegiert
und leisten keinen Militärdienst in den besetzten Gebieten. Wären alle so privilegiert, hätte sich der Prozess erübrigt.
* Der Autor lehrt Geschichte an der Hebräischen Universität von Jerusalem und ist Direktor des Richard-Koeber-Centers for German History.
Copyright © Süddeutsche Zeitung
|