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Artikel aus  NZZ vom 29. März 2003

 

Die Araber angesichts der Katastrophe

Nach der Errichtung des Staates Israel im Jahre 1948 und der Niederlage im Sechstagekrieg von 1967 stehen die Araber mit der angloamerikanischen Invasion des Iraks vor der dritten nationalen Katastrophe in wenig mehr als einem halben Jahrhundert. Der Krieg im Irak ist das Resultat der masslosen Selbstüberschätzung des irakischen Machthabers und der Unfähigkeit der Welt, darauf die angemessene Antwort zu finden. Für dieses Scheitern sind auch die Führer der arabischen Staaten verantwortlich, die sich unfähig gezeigt haben, einen wirksamen Beitrag an die monatelangen internationalen Bemühungen um eine friedliche Lösung der Krise um die vermuteten irakischen Massenvernichtungswaffen zu leisten.

Es waren nicht die Araber, sondern Frankreich, das in einer geschickten diplomatischen Kampagne den Widerstand gegen die amerikanischen Angriffspläne organisierte und diesen damit die Zustimmung der Uno verwehrte. Während dieser Zeit verstrickten sich die meisten arabischen Regierungen immer tiefer in Widersprüche, die ihre ohnehin geringe Glaubwürdigkeit weiter aushöhlten. Denn auf der einen Seite kritisierten die arabischen Sprecher eine amerikanische Intervention im Irak als Verstoss gegen das Völkerrecht und als politischen Fehler, auf der anderen Seite stellten viele arabische Regime ihr Territorium für den amerikanischen Aufmarsch gegen den Irak zur Verfügung. Auf ihre Öffentlichkeit machten die arabischen Führer den Eindruck, sie hätten angesichts des amerikanischen Willens, den Mittleren Osten zu kontrollieren und nach eigenen Vorstellungen umzugestalten, resigniert.

Seit zehn Tagen verfolgen nun die Araber auf ihren Bildschirmen mit wachsender Empörung die alliierte Invasion des Iraks. Die panarabischen Satelliten-Fernsehsender setzen mit ihren Berichten aus dem Kriegsschauplatz ihr Publikum einem Wechselbad der Gefühle aus: Trauer und Wut vor den Bildern von Opfern und Zerstörungen in den Städten, Schadenfreude und Hoffnung vor den Aufnahmen abgeschossener amerikanischer Helikopter oder gefangener alliierter Soldaten. Die arabische Presse, selbst in den stillschweigend mit den USA verbündeten Ländern, kritisiert grösstenteils und lauthals die Politik der USA und stellt den Überlebenskampf von Saddam Husseins Regime als heroischen Widerstand des irakischen Brudervolks gegen eine fremde Invasionsarmee dar.

Den medialen Kampf um die Sympathie oder auch nur das Verständnis der Araber haben die Amerikaner bereits verloren. In den letzten zehn Jahren ist in der arabischen Welt eine moderne und dynamische Medienindustrie entstanden, die ein riesiges Publikum unterhält und informiert. Die Berichte, welche die «internationalen» arabischen Zeitungen und Fernsehkanäle verbreiten, werden von professionellen Journalisten gemacht und richten sich nach den Bedürfnissen des Publikums aus. Damit entfaltet sich eine arabische öffentliche Meinung, die von westlichen Informationskanälen unabhängig ist und von den arabischen Regierungen nicht mehr kontrolliert wird. Noch hat sich diese öffentliche Meinung kaum als politische Kraft manifestiert, welche fähig wäre, auf die Verhältnisse einen entscheidenden Einfluss zu nehmen. Doch das Verhalten der arabischen Regierungen zeigt, dass sie heute gezwungen sind, mit diesem Faktor zu rechnen.

Heute macht im Mittleren Osten der Vergleich zwischen der sich anbahnenden Besetzung des Iraks durch die USA und der Errichtung des Staates Israel in Palästina im Jahre 1948 die Runde. Der Vergleich zeigt nicht nur, in welchem Ausmass der Irak- Krieg von den Arabern als Katastrophe verstanden wird. Indem er eine klare Parallele zwischen den USA und dem Erzfeind Israel zieht, zeigt er auch, wie zerrüttet das Verhältnis zwischen Amerikanern und Arabern ist. Diese Zerrüttung wurzelt in der enttäuschten Hoffnung auf die Teilnahme am Wohlstand und an den Freiheiten des Westens und ist mit der amerikanischen Unterstützung für die undemokratischen und korrupten Regime der Region und der amerikanischen Parteilichkeit zugunsten Israels gewachsen.

Die terroristischen Anschläge auf New York und Washington im Jahr 2001 waren der Versuch einer extremistischen Gruppe von Arabern, die amerikanisch-arabische Zerrüttung in einen «Zusammenstoss der Kulturen» zu treiben. Die Invasion des Iraks, die auch als Reaktion auf den 11. September zu verstehen ist, ist ein weiterer Schritt in diese fatale Richtung. Die breit diskutierte Absicht der Administration Bush zu einer umfassenden Neuordnung der ganzen Region zwischen Mittelmeer und Persischem Golf bekräftigt in der arabischen Welt die Überzeugung, Amerika wolle die absolute Kontrolle über das Erdöl am Golf erringen und den Arabern seine politischen Vorstellungen, nicht zuletzt einen ungerechten Frieden mit Israel aufzwingen.

Die fast täglichen Demonstrationen in vielen arabischen Städten werden von den umfangreichen und unzimperlichen Sicherheitskräften der verschiedenen Machthaber genau überwacht und in Schach gehalten. In der gegenwärtigen Stimmung kann aber ein aufwühlendes Ereignis im Irak, oder in Palästina, der Auslöser für Unruhen sein, die nicht mehr oder nur unter dem massiven Einsatz von Gewalt unter Kontrolle gebracht werden könnten. Es ist kaum absehbar, wie sich solche Situationen entwickeln können, fehlen doch in den meisten Ländern starke politische Organisationen oder Führer, die eine spontane Volksbewegung auf ein Ziel auszurichten vermöchten.

Als Alternative zur Resignation und zur Ratlosigkeit, welche die arabische Politik heute prägen, bieten sich der Islamismus und der Terrorismus an. Es ist anzunehmen, dass extremistische Organisationen in diesen Tagen und Wochen neue Rekruten und Sympathisanten gewinnen, welche die Fähigkeit dieser Gruppen zu Gewaltaktionen beträchtlich stärken könnten. Die heutige Lage bietet den Strategen des Terrorismus eine ideale Gelegenheit, mit spektakulären Anschlägen zu versuchen, die Entfremdung zwischen dem Westen und dem Islam zu vertiefen und die Welt weiter in den Konflikt zwischen den Kulturen hineinzuziehen. Wie die Erfahrung zeigt, ist die Strategie des Terrorismus jedoch ein Irrweg, der nur zu weiteren Niederlagen und damit noch tiefer in die politische Bedeutungslosigkeit führt.

Eine Stärkung der arabischen Position kann nur erreicht werden, wenn die arabischen Machthaber ihre Glaubwürdigkeit nach innen wie nach aussen wieder herstellen können. Die Glaubwürdigkeit gegenüber ihren eigenen Völkern hängt von der Bereitschaft und der Fähigkeit der verschiedenen Regime ab, sich dem politischen Dialog und der Beteiligung der Bevölkerung an der Macht zu öffnen. Die innere Legitimation der arabischen Führer und deren Verpflichtung auf ein gemeinsames arabisches Vorgehen sind die Grundlagen, auf der die arabische Welt ihr Selbstvertrauen und ihre Politik neu aufrichten muss.

Von diesen Grundlagen kann und muss die Anstrengung der arabischen Regierungen ausgehen, ihre fatale Abhängigkeit von den USA abzustreifen und damit den Spielraum zur Verteidigung ihrer nationalen Interessen zu vergrössern. Die französisch-deutsch-russische Achse, die sich in der Auseinandersetzung um das Vorgehen gegen Saddam Hussein als Gegengewicht zur Allianz «der Willigen» gebildet hat, könnte, so sie denn Bestand hat, einen weiteren, äusseren Ansatz zur Stärkung ihrer Position bieten. Doch im Moment herrscht im Irak Krieg, in der arabischen Welt Wut und Ratlosigkeit, und Anläufe zu einem Neubeginn in der arabischen Politik sind kaum erkennbar.

Jürg Bischoff

Neue Zürcher Zeitung, Ressort Leitartikel, 29. März 2003, Nr.74, Seite 1

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