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  Artikel der NZZ vom 6. März 2003

In Basra ist der Krieg schon Alltag

Schwerer Stand für Saddam im Südirak

Im schiitischen Süden des Iraks schaut man einem eventuellen, von den USA geführten Einmarsch gelassen entgegen. Saddams Repressionsregime hat hier furchtbar gewütet. Im Kriegsfalle können iranische Komplikationen hinzukommen.

O. I. Basra, 5. März

Die 580 Kilometer lange Autobahn von Bagdad nach Basra führt am östlichen Rand der mesopotamischen Schwemmebene entlang. Schon wenige Kilometer ausserhalb der Hauptstadt säumen frisch ausgehobene Erdwälle das Asphaltband. Bei Dörfern und in der Nähe von strategischen Einrichtungen sind sie wie Pilze aus dem Boden geschossen, manche nur einem Mann Platz bietend, andere gross genug für einen Panzer. Den oberen Rand schliesst fast immer ein Kranz von weissen Sandsäcken ab. Ab dem halben Weg nach Basra stehen alle paar hundert Meter kleine Forts, aus denen hie und da das Geschützrohr eines Panzers ragt. Die Miniaturburgen sind von weiss getünchten Lehmmauern umgeben. Für angreifende Piloten würde sich das alles so verlockend präsentieren wie eine offene Pralinenschachtel. Ausserdem sind die Anlagen oft eng aufeinander und beidseits der Strasse errichtet, so dass sich die Soldaten im Kampf fast zwangsläufig gegenseitig unter Feuer nehmen würden.

Verteidigung gegen wen?

Haben die irakischen Militärs immer noch die Strategie von starren Infanterieschlachten verinnerlicht? Wissen sie nicht, wie amerikanische Kampfflugzeuge in Afghanistan die eingegrabenen Tanks im senkrechten Sturzflug spielend ausgestochen haben? Der Anblick der untauglichen Befestigungen lässt vollkommen veraltete Vorstellungen von einem kommenden Krieg vermuten. In Basra hat ein Mitglied einer einflussreichen Familie in einem unbespitzelten Gespräch aber eine ganz andere Erklärung für die Befestigungen entlang der Strassen: Sie dienen zum Niederhalten der eigenen Bevölkerung und sollen im Falle eines Angriffs von aussen verhindern, dass irakische Soldaten von Basra nach Bagdad marschieren. Das Oberkommando wisse sehr genau, dass es einem aus der Luft geführten Vorstoss nichts entgegenzusetzen habe. Basra und der Süden, wo 60 Prozent des irakischen Erdöls gefördert werden, seien eigentlich schon aufgegeben. Saddam Hussein verlasse sich ganz auf den Häuserkampf in Bagdad.

Aus diesem Grund werde der Krieg in Basra viel schmerzloser sein, hofft der Gesprächspartner, und er hat den Teil seiner Familie, der in Bagdad wohnt, aufgefordert, zu ihm in den Süden zu ziehen. In Basra werden 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung in den Häusern verharren und abwarten, schätzt der Mann. Nachdem hier 1991 der Aufstand gegen Saddam ausgebrochen und man dann von den Alliierten schändlich im Stiche gelassen worden war, hätte in Basra niemand mehr Lust, den Kragen zu riskieren. Aber 20 Prozent der Männer würden auf Befehl des Regimes kämpfen müssen; die Frage sei nur, wie ernsthaft sie das tun würden.

An Luftalarme ist man in Basra seit 1991 gewöhnt, doch mit jedem Tag nimmt das Sirenengeheul zu. Zwar stimmen bei jedem nächtlichen Alarm die Hunde noch immer ins Geheul ein, aber die Menschen reagieren überhaupt nicht mehr darauf. Niemand richtet beim Sirenenton im Suk den Blick zum Himmel oder macht Anstalten, sich in Sicherheit zu bringen. Würde eine der Bomben fehlgelenkt und ein ziviles Ziel treffen, könnte das fatale Folgen haben. Die Wunden des sinnlosen Kriegs gegen Iran und des Golfkrieges sind in Basra immer noch an zahlreichen Stellen zu sehen. Dazu kommen die Auswirkungen der Sanktionen hinzu, sagt der katholische Erzbischof, Gabriel Kassab: «Die Sanktionen sind schlimmer als der Krieg, sie töten Schritt um Schritt.» Die Zweimillionenstadt am Shatt al-Arab, durchzogen von stinkenden Kanälen, macht einen heruntergekommenen Eindruck.

In den trockengelegten Sümpfen

Das Hinterland von Basra hat sich seit 1991 grundlegend verändert. Das Regime hat die riesigen Sümpfe trockengelegt, die schon immer ein schwer zu kontrollierendes Territorium dargestellt hatten und in die sich nach den Aufständen die Rebellen verzogen hatten. Zwar hatte schon die britische Kolonialmacht die Idee der Melioration der Sümpfe verfolgt, aber Saddam Hussein ist mit seiner üblichen Kompromisslosigkeit und Schnelligkeit vorgegangen. Neben Euphrat und Tigris zerschneidet nun der «Dritte Fluss» die südmesopotamische Ebene. Die Regierung hat ihn «al-Eizz» getauft, «die Macht». Das Leben der hier lebenden Madan, die von Aussenstehenden Sumpfaraber genannt werden, ist grundlegend verändert worden. Die mehreren hunderttausend Madan lebten einst hauptsächlich von Fischfang und machten Jagd auf die reichlich vorhandene Vogelpopulation. Man nimmt an, dass sie als Erste auf der Welt den Wasserbüffel domestiziert haben.

Wo immer man heute im nun ausgetrockneten Sumpf Wasserbüffel sieht, ist man nahe einer Siedlung der Madan. Ihre Häuser sind nicht mehr aus Schilf auf knapp aus dem Wasser ragenden Anhöhen gebaut, sondern aus Lehm und stehen auf staubigen, versalzten Böden. Nachdem die Schergen Saddams 1991 furchtbar unter den rebellischen Madan gewütet hatten, versucht es das Regime seit geraumer Zeit mit einer «Charmeoffensive», wie ein Beobachter die ungewohnte Umtriebigkeit bezeichnet. Auf einer Fahrt von Kurna in das ehemalige Sumpfland bei der iranischen Grenze ist zu sehen, wie überall die versandeten Kanäle ausgebaggert worden sind, um den Dattelpalmen wieder Wasser zuzuführen. Pumpen bewässern die Felder, in einigen Dörfern stehen neu gebaute Schulen und Gesundheitsstationen.

Im Dorf Um ash-Shewage steht neben dem Verwaltungszentrum eines der stattlichen Empfangshäuser der Madan, ein Mudhif. Es wird von 15 etwa fünf Meter hohen Schilfbögen gestützt und dient Scheich Rashash al-Emara als imposanter Repräsentationsbau. Der Notable gibt im überwachten Gespräch an, dass die Madan nie irgendwelche Probleme mit der Regierung gehabt hätten, dass sie im Gegenteil dankbar für den Fortschritt seien. Dabei ist die Unzufriedenheit der Madan über die Zerstörung ihres Lebensraumes kein Geheimnis. Al-Emara war früher ein hoher Offizier; nach dem Aufstand 1991, an dem er sich nicht aktiv beteiligt hatte, stand er jahrelang unter Hausarrest. Nun setzt das Regime wieder auf Stammesführer wie ihn.

Iranische Komplikationen

Trotzdem kann im schiitischen Südirak der von Iran aus operierende Oberste Rat für die islamische Revolution im Irak (Sciri) mit grossen Sympathien rechnen. Wahrscheinlich würden viele den Einmarsch der auf 14 000 Mann geschätzten Kämpfer des Sciri begrüssen. Ein Gesprächspartner meint allerdings, dass manche säkular eingestellten Schiiten der islamistischen Bewegung skeptisch gegenüberstünden, denn sie wünschten hier keinen theokratischen Staat. Ausserdem zählen sich die Schiiten im Irak zu den Arabern und nicht zu den Persern, mit denen sie viele religiöse Aspekte teilen.

Zu den Komplikationen im Südirak würde im Kriegsfalle auch die Anwesenheit der Mujahedin-e Khalk zählen, der bewaffneten iranischen Opposition. Die Volksmujahedin werden von Saddam nicht nur aus eingefleischtem Hass gegen das Nachbarland gepäppelt, sondern weil sie dem Diktator die Freundschaftsdienste stets mit der willigen Erledigung von Blutarbeiten unter der unbotmässigen schiitischen Bevölkerung abgegolten haben.

 

Neue Zürcher Zeitung, Ressort Ausland, 6. März 2003, Nr.54, Seite 9


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