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Artikel aus  Der Standard vom 15. März 2003
Saddam Hussein

Aufstieg und Niedergang

Den Weg des irakischen Diktators vom erfolgreichen Revolutionär, den der Westen gegen den Iran rüstete, zum Todfeind der USA verfolgte Erhard Stackl. Der damals neue starke Mann am Golf nahm den Mund sehr voll. "Wir werden unsere Revolution bis in die Schlafzimmer der korrupten Saudi-Prinzen tragen", verkündete Saddam Hussein im Juli 1980 vor Hunderten aus aller Welt angereisten Journalisten in Bagdad. Am zwölften Jahrestag der Machtergreifung seiner panarabisch-sozialistischen Baath-Partei präsentierte sich Saddam, seit kurzem offiziell die Nummer eins im Irak, als neuer Nasser, als Befreier der Araber und Herausforderer Israels. "Die Zionisten haben uns immer als rückständige Kamelreiter hingestellt", dröhnte Saddam, "aber wir werden Millionen Menschen ausbilden, die technisch alles beherrschen - von der Produktion einer Nähnadel bis zur Atomkraft."

Der Machtanspruch des damals 43-Jährigen hatte eine reale Basis: Öl. Von 1970 bis 1980 war der Preis pro Fass (zu 159 Liter) von 2.50 auf 40 Dollar hinaufgeschnellt; 1980 brachten Ölexporte dem Irak 25 Milliarden Dollar ein. Anders als die feudalistischen Scheichs nutzte Saddam den Reichtum zu revolutionären Veränderungen: Es gab eine Bodenreform, Frauen wurden vom Schleier und aus der Abhängigkeit von den Männern befreit; für eine erfolgreiche Alphabetisierungskampagne erhielt der Irak den Preis der Unesco. In den Restaurants am Tigrisufer floss der Alkohol, in Bagdads Kinos lief ein aufwändig produzierter Film über Saddam Husseins Jugend als panarabischer Revolutionär und Attentäter.

Gegner wurden schon damals erbarmungslos niedergemacht. Amnesty International berichtete von Hunderten Hinrichtungen - rebellische Kurden, schiitische Geistliche, Kommunisten und innerparteiliche Kritiker waren die Opfer. Geschäftsleute aus aller Welt, auch österreichische, hinderte das freilich nicht, in Bagdad eifrig Aufträge zu keilen. Fabriken, Spitäler und Brücken wurden gebaut, Nobelhotels von US-Architekten geplant und von europäischen Firmen hochgezogen. Frankreich riss sich so sehr um dieses Geschäft, dass der damalige Premier Chirac daheim schon hämisch "Jacques Irak" genannt wurde.

Alle lieferten dem säkularen irakischen Regime, dem Todfeind von Khomeinis islamischer Revolution im Nachbarland Iran, auch Rüstungsgüter; Frankreich baute - Höhepunkt von Saddams Ambitionen - bei Bagdad den Forschungsreaktor "Osirak". Israel, für Saddam ein auszulöschendes "zionistisches Gebilde", sah darin den Griff des Irak nach der Atombombe. Am 7. Juni 1981 jagten acht israelische F-16-Jets den noch nicht in Betrieb gegangenen Reaktor in die Luft. (Der jüngste Pilot war damals übrigens Ilan Ramon, der im Februar 2003 als erster israelischer Astronaut an Bord des Unglücks-Shuttles Columbia umkam.)

"Als der Irak begann, einen starken Staat aufzubauen, war es die Idee, ein Gleichgewicht zu Israel zu schaffen", gestand Jahre später Rahim Alkital, Physiker und damals irakischer Botschafter bei der Atombehörde in Wien, im Gespräch mit mir ein. Der Irak, der 1971 den Atomsperrvertrag unterzeichnete, habe angeblich kein militärisches Forschungsprogramm gehabt. "Wer dem Atomsperrvertrag beitritt, genießt das volle Recht, ein ziviles Atomprogramm durchzuführen", sagte Alkital. Doch wozu, wenn nicht zu militärischen Zwecken, sollte ein in Öl schwimmendes Land wie der Irak ein Nuklearprogramm haben?

Mit Saddam Husseins Machtträumen, die 1982 mit der Abhaltung der Blockfreien-Konferenz in Bagdad und der Übernahme des Vorsitzes (von Fidel Castro) in dieser damals politisch bedeutenden Staatengruppe gekrönt werden sollte, war es schon vorher vorbei. Im September 1980 marschierten die irakischen Streitkräfte, in der Hoffnung auf einen raschen Sieg, im von Revolutionswirren geschwächten Iran ein. Doch der erbittert geführte Krieg dauerte bis 1988, etwa eine Million Menschen kam um.

Zwei Jahre später war ich, auf der anderen Seite der Front, nach Besichtigung völlig zerstörter iranischer Orte, mit einer internationalen Journalistengruppe in der grenznahen Stadt Dezful, wo gerade eine irakische Scud-Rakete eingeschlagen war und mehrere Menschen getötet hatte. Die aufgebrachte Menge bewarf unseren Kleinbus mit Steinen und drohte uns Prügel an. Als wir einen Iraner bewegen konnten, mit uns zu reden, nannte er den Grund des Zorns: "Ihr seid aus dem Westen, und dieser steckt doch hinter Saddam." Es stimmte: Die westlichen Staaten, aber auch die Sowjetunion, belieferten, um Geschäfte zu machen und um den Iran einzudämmen, damals den Irak. Frankreich verkaufte Kampfjets, Deutschland baute an Raketen, mehrere Staaten lieferten giftige Chemikalien, die Saddam gegen den Iran und gegen Kurden einsetzte. (Auch Österreich machte heimlich mit; als aufflog, dass 200 Noricum-Kanonen auf Umwegen im Irak gelandet waren, gab es einen Riesenskandal.)

Die USA reichten kriegsentscheidende Satellitenaufnahmen iranischer Truppenstellungen an den Irak weiter. Donald Rumsfeld, damals schon einmal US-Verteidigungsminister, reiste 1983 nach Bagdad. In den Jahren darauf erhöhte die US-Marine ihre Präsenz so stark, dass Teheran 1988 in einen Waffenstillstand einwilligte.

Obwohl der Irak nach dem Krieg mit schweren Zerstörungen und 70 Milliarden Dollar Auslandsschulden dastand, rief sich Saddam zum Sieger aus. Zur Sicherung seiner geschwächten Macht gab er sich aber zunehmend muslimisch - und gleich wieder aggressiv: Er verdächtigte Kuwait, auf das der Irak schon lange Anspruch erhoben hatte, seine Ölfelder anzubohren, und befahl am 2. August 1990 den Einmarsch.

Als die USA, für Saddam unerwartet, mit Krieg drohten, untersagte er 12.000 westlichen Ausländern die Ausreise. Gerüchteweise hieß es, dass sie als "menschliche Schutzschilde" an strategisch wichtigen Punkten festgehalten werden sollten. In dieser dramatischen Situation flog der damalige österreichische Bundespräsident Kurt Waldheim Ende August nach Bagdad, um "unsere Geiseln" heimzuholen.

Nach einem Kurzbesuch bei Saddam, bei dem dieser den US-Truppenaufmarsch in Saudi-Arabien mit einer "muslimischen Besetzung des Vatikans" verglich, durfte Waldheim mit rund hundert Österreichern nach Hause fahren. Während der Präsident dafür daheim gefeiert und im Ausland als unsolidarisch gescholten wurde, stellte ich gemeinsam mit zwei weiteren in Bagdad gebliebenen Journalisten überrascht fest, dass einige Firmenvertreter, auch Österreicher, freiwillig im Irak geblieben waren. Manche "Geiseln" litten aber, bis sie alle ausreisen durften, tatsächlich große Angst.

Im November 1990 gab der UN-Sicherheitsrat nach einem diplomatischen Gerangel, das dem gegenwärtigen glich, der von den USA geführten Koalition die Vollmacht, nach Ablauf eines Ultimatums die Sicherheit in der Golfregion "mit allen erforderlichen Mitteln" wiederherzustellen. Als ab dem 16. Jänner Bomben auf Bagdad fielen, war ich in Israel und zitterte mit den Menschen mit, die in Bunkern hockten und nicht wussten, ob die von Saddam abgefeuerten Scud-Raketen chemische Sprengköpfe trugen. Spätestens damals wurde klar, warum sie Saddam für immer weghaben wollten.

Im Mai 1991, kurz nach Kriegsende, fuhr ich durch den zerstörten Irak. In Bagdad hatten die Bomben großteils ihre Ziele erreicht. Eine Familie, die neben einem zerbombten Regierungsgebäude wohnte, erzählte mir, wie sie im Keller überlebt hatte. Die Bomben trafen aber auch E-Werke, elektrische Wasserpumpstationen wurden lahm gelegt. Mangel an Wasser und Nahrung brachte Krankheiten und bedeutete, wie Hilfsorganisationen erhoben, für Zehntausende Kinder den Tod. Erst ab 1996, als der Irak dem UNO-Plan zustimmte, Öl für Nahrungsmittel zu exportieren, ging die Kindersterblichkeit zurück.

DER STANDARD, Printausgabe, 15./16.3.2003